Leseprobe

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Einen Nerv
getroffen

Seraina Serrat hat im März 2022 in Zürich einen Blumenladen eröffnet. Heute führt sie elf Mitarbeitende und betreibt zwei Filialen und ein Atelier. Das Handwerk hat sie sich selbst beigebracht.

Ein lachendes Smiley und ein wie von Hand hingemalter Schriftzug leuchten vom Schaufenster des Floral Lokal. Es ist die Handschrift von Seraina Serrat. Die gelernte Grafikerin und seit wenigen Jahren Floristin mag es knallig – und blumig. In Jeansjacke und schwarzen Plateau-Crocs, die Dächlikappe in die Stirn gezogen, arrangiert sie in dem kleinen Laden beim Zürcher Lochergut eine luftige Vasenfüllung für das 25-Hours-Hotel an der Langstrasse.

Es ist Mitte November und die Blumen sind noch fast alle aus der Schweiz, einige wenige aus Norditalien. «Wir verkaufen konsequent keine Ware von weiter her», sagt die 42-Jährige. Das war für sie von Anfang an klar. Die Lust auf Blumen war unter anderem in ihrem eigenen Garten entstanden und durch ihre Arbeit im Service, wo sie für die Tischblumen zuständig war. Sie habe immer wieder in der Gastronomie gejobbt. So auch nach zwölf Jahren Mutterpause – ihre Kinder sind heute 20, 16 und 13 Jahre alt. Aus Freude an den Blumen bewarb sie sich blind beim nachhaltigen Online-Pionier Blumenpost, wurde angestellt und lernte autodidaktisch das Sträussebinden – im Akkord. Daraufhin begann sie samstags auf einem Wochenmarkt in Zürich Wiedikon Blumen zu verkaufen. Sie holte sie am Tag zuvor auf Feldern zum Selberschneiden bei den Familien Mathis in Basel und Isler im Zürcher Oberland und rüstete sie in ihrer Garage. «Das war zwar streng, aber die Blumen sind sehr gut angekommen.» Sie schien mit ihrem Angebot einen Nerv getroffen zu haben, denn es wurden immer mehr Aufträge daraus, zu Beginn vor allem aus der Gastroszene. Bald reichte die Garage nicht mehr aus. Sie fand einen Raum, den sie ab März 2022 in einer Ateliergemeinschaft an der Sihlfeldstrasse mieten konnte, mit Fensterfront. «Es ist vom ersten Tag an abgegangen!», erzählt sie am kleinen roten Tisch vor ebendiesem Lokal. Nach und nach konnte sie die anderen Räume dazu mieten – bis auch das nicht mehr ausreichte. Also mietete sie, zehn Gehminuten entfernt an der Birmensdorferstrasse, zusätzlich ein zweites, grösseres Lokal.

Offen, locker und wild
Beide Filialen sind sehr urban gelegen und im Stil und Auftritt identisch. An beiden Standorten dominieren momentan feinteilige Trockenkränze in allen Farben, zweifarbige Kerzen vom einem Zürcher Design-Duo und eine wilde Mischung an Vasen, hauptsächlich von Brockenhäusern, schimmern die ersten von Serrat selbst entworfenen Vasen, die sie mit einer 3D-Druckerei in Zürich herstellt. Und an beiden Standorten steht eine mechanische Schreibmaschine, auf der die Floristinnen die Adressen und auf Wunsch Grussworte auf


Unverkennbar Floral Lokal; der Stil und das Angebot der Filiale in Wiedikon ist praktisch identisch mit demjenigen an der Sihlfeldstrasse.

Karten tippen. Seit einem Jahr nutzt Serrat auch einen Atelierraum in Wollishofen, den sie mit einem Künstlerduo teilt. Dort fertigt das Team aus den Restblumen des Sommers Trockenkränze. Alle acht Kranzworkshops, die Floral Lokal im Atelier anbietet, sind ausgebucht.

Mit den Aufträgen ist auch das Team gewachsen. Heute sind sie zu zwölft. Alle ihre Mitarbeitenden sind zwischen 22- und 30-jährig. «Wir unternehmen auch privat viel zusammen», sagt Serrat, einschliesslich der Person für die Buchhaltung und der Fahrer, drei Kunststudenten. Darum sei es wichtig, dass die neuen Zugänge nicht nur vom floristischen Stil her, sondern auch menschlich zu ihnen passen. «Wie die Aufträge, haben die Mitarbeiter immer mich gefunden, nicht umgekehrt.» Darunter sind auch Wiedereinsteigerinnen, die durch Floral Lokal wieder zum Beruf zurückgefunden haben. «Der Stil muss gefallen, sonst geht es nicht.» Er ist offen, locker und wild. Zwei ihrer Mitarbeiterinnen sind, wie sie, nicht gelernte Floristinnen, sondern Kunstschulabgängerinnen. «Heute haben wir keine Kapazität mehr, Mitarbeiter selber anzulernen. Dafür haben wir zuviel Arbeit.» Da ist die Laufkundschaft, sind die Hochzeiten, Abdankungen, Firmenanlässe und all die Daueraufträge für Klubs, Restaurants, Architekturbüros und Kleiderläden. Eine Herausforderung seien jeweils die Vasen für die Nobelboutique Hermès. Das sei ein gegenseitiges Herantasten. Sie hätten sehr genaue Vorstellungen, oft mit Exoten. «Da suchen wir dann schon die schönsten Blumen raus.» Bis jetzt habe es noch immer geklappt …

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